In Baden-Württemberg sind in nur vier Wochen drei Menschen durch Polizeischüsse gestorben. Insgesamt wurden im Jahr 2025 bereits acht tödliche Schusswaffeneinsätze registriert. Das ist mehr als doppelt so viel wie in den Vorjahren. Gleichzeitig zeigt die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) Schwächen bei der realistischen Abbildung der Kriminalitätslage. Die aktuellen Entwicklungen werfen Fragen über Einsatzverhältnismäßigkeit, Polizeigewalt und statistische Erfassungsmethoden auf.
Leonberg, Stuttgart-Ost und Wangen
Im Raum Stuttgart wurden zwischen Juni und Juli 2025 drei Personen bei Polizeieinsätzen erschossen. Am 13. Juli erschoss ein Spezialeinsatzkommando in Leonberg (Kreis Böblingen) einen Mann, der zuvor das Feuer auf Passanten und Beamte eröffnet hatte. Die genauen Umstände, einschließlich der verwendeten Waffe, sind Teil laufender Ermittlungen.
Bereits drei Wochen zuvor kam es in Stuttgart-Ost zu einem tödlichen Einsatz. Ein 29-Jähriger wurde bei einem Polizeieinsatz nach einem Streit erschossen. Die Obduktion ergab, dass der Schuss ihn frontal traf, was widersprüchliche Berichte über einen Schuss in den Rücken widerlegte.
Fünf Tage vor dem Vorfall in Stuttgart-Ost wurde ein 27-Jähriger in Wangen (Kreis Göppingen) tödlich getroffen. Er hatte Polizisten mit einem Messer attackiert, als diese ihn wegen eines Delikts festnehmen wollten. Auch in diesem Fall starb der Mann noch am Einsatzort.
Weitere Fälle in Baden-Württemberg
Das Innenministerium zählt für das Jahr 2025 insgesamt acht Tote nach Polizeischüssen. Neben den Vorfällen in Leonberg, Stuttgart und Wangen wurden vier weitere Personen in Bruchsal, Eichstetten, Hilzingen und Schramberg erschossen.
Ein weiterer Fall ereignete sich Ende März im Raum Stuttgart. Ein 36-Jähriger, der seine Partnerin getötet haben soll, wurde auf der Flucht angeschossen. Der Schuss ins Bein führte später im Krankenhaus zum Tod. Auch dieser Fall fließt in die Statistik ein.
Vergleichswerte zeigen eine markante Zunahme: 2020 und 2017 waren es jeweils nur drei Tote nach Polizeischüssen. Im aktuellen Jahr sind von zehn polizeilichen Schusswaffeneinsätzen acht tödlich ausgegangen.
Gewalt gegen Polizei auf Rekordniveau
Auch die Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten hat stark zugenommen. Im Jahr 2024 wurden 6.362 Fälle registriert, bei denen 2.784 Beamtinnen und Beamte verletzt wurden. Das ist der höchste Stand seit Beginn der Erhebungen im Jahr 2021. Daten für das laufende Jahr liegen noch nicht vor, doch der Trend zeigt eine fortschreitende Eskalation.
Wichtigste Kennzahlen:
| Jahr | Tödliche Polizeischüsse | Gewalt gegen Polizei | Verletzte Beamt*innen |
|---|---|---|---|
| 2017 | 3 | — | — |
| 2020 | 3 | — | — |
| 2024 | — | 6.362 | 2.784 |
| 2025 | 8 | — | — |
Kritik an der Kriminalstatistik
Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) liefert kein vollständiges Bild der Kriminalität. Das Bundesinnenministerium räumt selbst ein, dass sie nur das sogenannte Hellfeld abbildet – also Taten, die zur Anzeige gebracht und polizeilich bearbeitet wurden.
Wichtige Deliktsgruppen fehlen:
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Staatsschutzdelikte
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Verkehrsdelikte
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Steuer- und Zolldelikte
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Ordnungswidrigkeiten
Auch die Erfassungslogik verzerrt das Bild: In der PKS werden auch Fälle berücksichtigt, die Jahre zurückliegen. Anzeigen ohne hinreichenden Tatverdacht werden dagegen nicht aufgenommen. Nur rund 30 Prozent aller erfassten Tatverdächtigen werden letztlich verurteilt.
Migration, Realität und Fehlinterpretationen
Häufig werden Ausländer in der PKS als überproportional tatverdächtig dargestellt. Doch die Statistik unterscheidet nicht zwischen dauerhaft in Deutschland lebenden Personen und vorübergehend anwesenden Verdächtigen. Ein durchreisender Autoschieber wird genauso erfasst wie ein ansässiger Migrant.
Beispiel Brandenburg:
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Anfang 2024: 7,5 Prozent Ausländeranteil an der Bevölkerung
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Ursprünglich: 8.900 nichtdeutsche Tatverdächtige pro 100.000 Einwohner
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Nach Korrektur: 4.100 Tatverdächtige – Rückgang um über 50 Prozent
Diese Zahlen zeigen, wie stark fehlerhafte Auslegungen die öffentliche Wahrnehmung beeinflussen können.
Unsicherheiten bei Dunkelfeld und Kontrolldelikten
Nicht alle Straftaten gelangen zur Anzeige. Besonders im Bereich sexueller Gewalt wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen. Auch Kontrolldelikte wie Drogenbesitz, Schwarzfahren oder Sozialleistungsbetrug tauchen nur bei gezielter Polizeiarbeit in der Statistik auf.
Beispielhafte Delikte mit hoher Dunkelziffer:
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Sexuelle Belästigung
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Kindesmissbrauch
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Drogenbesitz
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Korruption
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Sozialbetrug
Kriminologe Tobias Singelnstein warnt vor Überinterpretationen. Die PKS sei vor allem ein Spiegel polizeilicher Tätigkeit, nicht der Kriminalitätsrealität.
Zahlen mit Kontext betrachten
Die Zahl tödlicher Polizeischüsse hat sich 2025 in Baden-Württemberg im Vergleich zu Vorjahren drastisch erhöht. Die parallele Zunahme der Gewalt gegen Beamte, gepaart mit den Schwächen der Kriminalstatistik, verdeutlicht den Handlungsbedarf in mehreren Bereichen.
Die PKS ist ein wichtiges Werkzeug, aber kein verlässliches Abbild der gesellschaftlichen Kriminalitätslage. Sie muss differenziert betrachtet und stets im Kontext weiterer sozialer, demografischer und polizeilicher Faktoren eingeordnet werden.
Quelle: SWR, Tagesschau